Tilt-Shift-Objektive trifft man in freier Wildbahn selten an. Sie sind und bleiben ein Nischenprodukt. Genau das macht sie für ambitionierte Fotografen aber hochinteressant, um sich von der breiten Masse abzuheben, denn mit ihnen sind Effekte möglich, die digital nicht in dieser Qualität reproduzierbar sind. Die klassischen Anwendungsgebiete für solche Linsen sind Architektur- und Produktfotografie – doch Normen sind da, um bewusst gebrochen zu werden.
Die Freilager-Überbauung fotografiert mit einem normalen 24mm.
Das gleiche Motiv fotografiert mit dem Canon TS-E L II 24mm ƒ3.5.
Zum Anfang die Grundlagen: Was ist ein Tilt-Shift-Objektiv? Es sind Optiken, die auf zwei Arten mechanisch verstellbar sind: Erstens lässt sich die Schärfeebene neigen («Tilt»), zweitens die Bildebene verschieben («Shift»). Damit letzteres funktioniert, produzieren die Linsen einen grösseren Bildkreis als normale Objektive, aus dem man nur einen Ausschnitt mit dem Sensor auffängt – welcher das ist, bestimmt man eben über den «Shift», den man mittels Drehrad an der Optik wählt. Mit einem zweiten Drehrad lässt sich zudem der «Tilt» einstellen, der den vorderen Teil der Optik – und damit die Schärfeebene – mechanisch schrägstellt.
Kampf den stürzenden Linien
Das klingt erst einmal alles fürchterlich kompliziert und abstrakt. Wozu also braucht man die Funktionen in der Praxis? Welches Problem lösen sie? Fangen wir mit dem Verschieben der Bildebene an – also mit dem «Shift». Jeder Fotograf, der schon mal ein Gebäude fotografiert hat, kennt folgende Situation: Wählt man den Bildausschnitt so, dass viel vom Bauwerk drauf ist und nur wenig Boden, so muss man zwangsweise die Kamera nach oben richten. Der ungewollte Effekt: Vertikale Linien beginnen nach innen zu stürzen (siehe Bild oben links) – je weitwinkliger die Optik, desto ausgeprägter. Das verursacht beim Betrachter unterbewusstes Unwohlsein, da sich das Bild anfühlt, als würde das Gebäude in Richtung Blickpunkt einstürzen. Ein «Shift» behebt dieses Problem elegant: Die Bildachse bleibt hier parallel zum Boden ausgerichtet. Nun verschiebt man den Ausschnitt des Bildkreises einfach nach oben, bis zur gewünschten Komposition. Et voilà: ein ästhetisches Bild ohne stürzende Linien (siehe Bild oben rechts).
Überraschende Schärfeverläufe
Weiter zum zweiten Drehrad an solchen Objektiven: dem «Tilt». Mit ihm lässt sich wie erwähnt die Schärfeebene neigen. Das freut besonders Produktfotografen bei Nahauf-nahmen. Hier stellt sich oft das Problem, dass ein Objekt schräg im Bild liegt und trotzdem von vorne bis hinten scharf sein soll. Das ist mit einem normalen Objektiv manchmal unmöglich, da auch bei kleinen Blenden die Schärfeebene noch viel zu dünn ist. Mit einem «Tilt» wird sie zwar nicht grösser, aber man kann sie so neigen, dass sie der Ebene des Objektes folgt. So viel zur klassischen Anwendung. Für unser Bild auf der linken Seite haben wir die «Tilt-Funktion» ein wenig zweckentfremdet, um ein nicht alltägliches Portrait unseres Verkäufers Tristan zu schiessen: Wir haben den Fokus wie gewohnt auf die Augen gelegt, die Schärfeebene aber nach hinten quer durch seinen Kopf gekippt. Nun sind Augen und Ohren scharf, Haare und Torso unscharf. Cool, oder?
Hast du auch Lust bekommen, zu tilten und zu shiften? Wir haben verschiedene solcher Objektive in unserer Mietabteilung!